2003 Weltrekord

Weltrekord im Rahmen des IDM-Laufes des DMSB auf dem Testoval des Eurospeedway Lausitzringes mit 281,25 km/h ebenfalls bei feucht-fröhlichen Wetterbedingungen.

„Never change a winning team!“ – das hatten sich die beiden Extremsportler Jürgen Köhler (Hennef) und Elmar Geulen (Euskirchen) auch dieses Jahr auf dieses Jahr auf ihre Fahnen geschrieben.

Amtierende Weltmeister sind die beiden seit dem 16.11.2002, und zwar in einer Disziplin der besonderen Art: Jürgen Köhler hatte sich auf Inlineskatern von dem schnellsten Rennmotorrad Europas auf Tempo 281,2 km/h ziehen lassen. Gesteuert wurde die Maschine von „Mr. Hayabusa“ Elmar Geulen, Profirennfahrer und seit mehr als zwei Jahrzehnten wohl eine der schillerndsten Figuren im deutschen Motorradrennsport.

Diesmal nun nahmen die beiden die 300 km/h-Marke ins Visier.

Ein solches Vorhaben kann nicht einfach aus dem Handgelenk realisiert werden, Vorbereitung und Umfeld müssen aufs Haar stimmen. Elmar Geulen mobilisierte über Jahre gewachsene Kontakte und konnte den Deutschen Motor Sport Bund (DMSB) von seiner Idee begeistern. Damit war die nationale Motorsporthoheit mit im Boot – ob im Automobil- oder im Motorradrennsport vergibt ausschließlich der DMSB die Sportlizenzen und ist somit das oberste Gremium im deutschen Motorsport. So konnten Köhler/Geulen im Rahmen der Internationalen Deutschen Motorradmeisterschaft IDM (www.idm.de) am 30./31.08.2003 unter optimalen Bedingungen ihr ehrgeiziges Vorhaben in Angriff nehmen: Auf dem Eurospeedway Lausitzring stand ihnen das Testoval mit zwei überhöhten Kurven und jeweils 2,3 km Gerade zur Verfügung. Nun ist ein solcher Weltrekordversuch – neben der logistischen Herausforderung – nicht zuletzt auch ein sehr kostenintensives Unterfangen. Sponsoren mussten her, denn aus eigenen Mitteln lies sich der finanzielle Kraftakt nicht bewerkstelligen. Hilfreich war da nicht zuletzt das rege Medieninteresse am Weltrekord des vergangenen Jahres. Allein Fernsehsender wie RTL, Sat1 und Pro7 hatten summa Samarium nicht weniger als 16 Sendeminuten bereitgestellt. Mit dieser Medienbilanz wurden auch diesmal Investoren gefunden, die an die beiden „Verrückten mit dem kühlen Kopf und heißen Rädern“ glaubten.

Die PS-Karawane setzte sich in Bewegung. Mit Neoplan-Bus und Anhänger startete das zehnköpfige Team in Bonn, 700 km bis ins Brandenburgische vorm Bug. Im Gepäck Geulens zwei LKM-Suzuki „Hayabusa“, in denen zuvor Tuningass Hennes Löhr muntere 217 PS wachgekitzelt hatte. Die beiden Rennmaschinen waren für diesen Husarenritt speziell vorbereitet worden speziell vorbereitet worden. So wurde für das Heck eine Halterung konstruiert, mittels der Jürgen Köhler in der Lage sein sollte, der atemberaubenden Beschleunigung standzuhalten. Die Anspannung im Team war deutlich fühlbar. Es geht um den Weltrekord. Würde alles so funktionieren, wie monatelang geplant? Ist die Strecke überhaupt lang genug, um die geplante Geschwindigkeit zu erreichen? Würde man mit dem ungewohnten Ovalkurs zurechtkommen? Was macht das Wetter – ein Faktor, der sich auch der besten Vorbereitung nicht unterordnet und doch alles entscheiden kann? Nun – alle Theorie ist grau, und bald würde man mehr wissen. Wenn bloß nichts Wichtiges zu Hause vergessen wurde!

Doch genau diese Befürchtung sollte sich bewahrheiten. Schon bald nach der Ankunft am Lausitzring der erste Albtraum: Der Spezialanschluss für die Gegensprechanlage in Köhlers und Geulens Helm war unauffindbar. Dieses Kleinteil war die Lebensversicherung für Jürgen Köhler, denn ohne die notwendige Kommunikation mit dem Fahrer wäre der „Passagier“ am Heck den extremen Kräften quasi blind ausgeliefert. Die Herstellerfirma Baehr bewies einmal mehr ihr innovatives Image und sandte Ersatz per Kurier an den Eurospeedway.

Kaum war genug Zeit zur unmittelbaren Vorbereitung, da rückten schon die Medien an – wie erwartet mit großem „Bahnhof“. Der Mitteldeutsche Rundfunk MDR karrte kurzerhand einenÜ-Wagen an den „Tatort“ und eh‘ sie sich versahen waren die beiden Weltmeister Mittelpunkt einer Liveschaltung mit Interview. Weder Geulen noch Köhler sind Spielverderber und gaben für die Kameras spontan einige Kunststücke zum Besten – auch die Sponsoren wird’s gefreut haben.

Samstag. Der Tag vor dem Rennen. Alles ist jetzt eigentlich klar, doch Geulen und Köhler bestehen auf einen letzten Check.

Und dann der Sonntag. Bringt er einen Weltrekord oder bleibt es bei dem Versuch? Auch die Medien sind gespannt und schicken ihre Teams. Wieder ist der MDR zu Gast, aber auch Pro7, RTL und Sat1 und das Deutsche Sportfernsehen DSF geben sich die Ehre. Jeder will dabei sein. Für Elmar Geulen und Jürgen Köhler wird es nun ernst – sie erleben das Medienspektakel nur aus der Distanz ihrer Konzentration. Seit 10:00 Uhr gehört das Testoval ihnen. Was jetzt kommt, ist für Rennfahrer Geulen zunächst Routine. „Mr. Hayabusa“ geht mit der Strecke auf Tuchfühlung, schießt sich und seine Maschine ein. Hier noch eine Änderung an der Sekundaübersetzung, dort noch die Abstimmung der Wilbers-Spezialfederung auf die überhöhte Kurve.

Rennfahrerhandwerk.

Dann steht das Weltmeisterduo auch schon in den Startlöchern. Zügiger Anlauf auf der einen Seite des Ovals – schon vor der Steilwandkurve müssen die 200 km/h aufgebaut sein, so verlangt es die Physik. Alles in allem zwei Kilometer, und dann möglichst mit Höchstgeschwindigkeit durch die von Wige-Data installierte Lichtschranke schießen. Das erste Messergebnis bringt die Enttäuschung. Nur 274 km/h. Nicht genug. Der im Kessel des Ovals ständig drehende Wind hatte unkalkulierbare Böen entwickelt und das Vorhaben zunächst vereitelt. Die beiden Rekordjäger machen weiter. Versuch folgt auf Versuch. Sie schrauben sich auf 277 km/h hoch. Hoffnung entflammt jetzt wieder, dann der Abbruch. Ganz plötzlich regnet es wie aus Kannen. Auch das Publikum leidet unter dem schlechten Wetter, du Geulen und Köhler zeigen, das sie auch als Entertainer Profis sind. Zur Begeisterung der etwa 20.000 Schaulustigen füllen sie die Mittagspause der IDM-Veranstaltung und zeigen einige ihrer waghalsigen Kunststücke.

Dann wollen es die beiden wissen. Bridgestone-Regenreifen werden auf die Felgen montiert, dann soll es dem alten Rekord erneut an den Kragen gehen. Doch zunächst wollen die Medienvertreter auf ihre Kosten kommen. Die einzelnen Kamerateams und Fotografen dürfen mit Transportfahrzeugen das Oval befahren und können so – aus der geöffneten Beifahrertür heraus - einzigartige Aufnahmen von den beiden Extremsportlern schießen. Da pilotiert Elmar Geulen die heiße Suzuki schon mal im zweiten oder dritten Gang auf dem Hinterrad über den Asphalt, natürlich mit Partner Köhler auf Inlinern im Beipack. Als sich die Wetterbedingungen dann wieder bessern und die Strecke halbwegs abtrocknet, wird es für das Weltrekordteam wieder Ernst.

Jetzt, das zerren die beiden mit jeder Faser ihres Willens förmlich herbei, jetzt soll es dem (eigenen) Vorjahresrekord an den Kragen gehen. Das ist man sich selbst schuldig, dem Team, den Medien, aber nicht zuletzt auch den Investoren, ohne die dies alles gar nicht machbar gewesen wäre.

Die Wige-Data Lichtschranke wird noch einmal um 50 Meter verschoben, um den so wichtigen Anlauf verlängern zu können. Jeder Meter zählt. Auch die Hochgeschwindigkeits-Profilreifen von Bridgestone werden wieder montiert. Fahrer Geulen trägt jetzt eine Minikamera auf seinem Rücken, denn der MDR will dabei sein, so nah es geht. Der dazugehörige Camcorder wird kurzerhand in den Höcker hinter Geulens Sitz montiert – mit fatalen Folgen, wie sich später zeigen sollte. Als die Suzuki-Hayabusa beim nächsten Versuch durch die Steilwandkurve fliegt, löst die enorme Zentrifugalkraft den Camcorder, und der schlägt durch die superleichte Karbonabdeckung, um sich blitzartig zwischen Hinterrad und Schwinge festzufressen. Dies alles geschah außerhalb des Sichtfeldes der Zuschauer, die über die Steilkurve nur eine riesige Rauchwolke ausmachen konnten. Jeder vermutete das Schlimmste. Doch wie durch ein Wunder wurde der Camcorder nicht nach hinten auf Jürgen Köhler geschleudert – bei derzeit Tempo 200 hätte das Aufnahmegerät den Inlinechampion wie ein tödliches Geschoss treffen können. Auch der Bridgestone-Reifen bewies seine Qualität und verlor nicht einmal Luft. Derart gebeutelt fegte die Hayabusa dennoch mit 277 km/h durch die Messanlage. Fahrer Geulen gab nach dem Vorfall zur Kenntnis, dass er ausgangs des Testovals legendlich ein „kurzes Stucken“ am Motorrad bemerkt hätte und „dann ganz normal den fünften und sechsten Gang bis zur Lichtschranke hochgeschaltet“ habe.

Nicht lange nachgedacht, was hätte passieren können – das professionelle Team montierte neue Reifen, und weiter geht die Jagd nach dem Rekord. Diesmal ohne Kamerautensilien. Und dann geht alles ganz schnell. Richtig gesehen, kein Messfehler? Jawohl! Der alte Weltrekord ist Geschichte. Unbestechlich und amtlich anerkannt zeigen die Wige-Data-Instrumente das Resultat: 281,25 km/h. Das sieht knapp aus, wenn man die 0,05 km/h als geschriebene Zahl sieht, um den man heute den alten Weltrekord korrigiert hat. Im Motorsportzeitalter der Tausendstel ist das ein großer Schritt. Weltrekord. Unanfechtbar. In die Freude über das Erreichte, die man den erschöpften Gesichtern der beiden Weltmeister ansieht, mischt sich ein kleiner Wermutstropfen. Das persönliche Ziel – die 300 km/h – war heute noch nicht erreicht worden.

Doch für Jürgen Köhler und Elmar Geulen ist der Tag nach dem Rekord auch der Tag vor dem (nächsten) Rekord. Daran werden die beiden jetzt zu arbeiten beginnen, und auch Hayabusa-Tuner Hennes Löhr von LKM tüftelt bereits am neuen Aggregat. Im Winter wird er sich die Suzuki zur Brust nehmen, und ein paar Geheimnisse hat er schon mal ausgeplaudert: Aus den USA kommt die neue Kurbelwelle mit erhöhtem Hub, die satte 1640 ccm Hubraum möglich macht. Auch für Nicht-Techniker kann man das ganz leicht übersetzen: 235 PS auf zwei Rädern. 2004 – wir kommen! Dann wird übrigens ein abgesperrtes Autobahnstück gesucht, dass ca. 4 km geradeausfahren möglich macht. Zu riskant für alle Beteiligten ist das Durchfahren einer Kurve bei einem solchen Rekordversuch. Denn so abenteuerlustig die Champions auch sind – eines sind sie ganz sicher nicht: Lebensmüde.